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Man liest und hört seit
...See More geraumer Zeit viel über Narzissmus. Zu Zeiten der digitalen Selbstinszenierung auf Social Media lauern vermeintliche Narzisstinnen und Narzissten überall. Und auch im beruflichen Umfeld findet sich bestimmt die einte oder andere narzisstisch gestörte Person: „Mein Chef ist auch so ein Narzisst…!“ So oder so ähnlich haben wir alle schon von Narzissmus gehört oder den Begriff selber in den Mund genommen. Narzissmus ist zum allgegenwärtigen, negativ besetzten Charakterzug geworden. Die Persönlichkeitsstörung wird derart inflationär gebraucht, dass man annehmen dürfte, sie sei zur grassierenden Epidemie geworden. Aber sind wir wirklich narzisstischer veranlagt als die Generationen vor uns?
Was ist Narzissmus wirklich?
Machtansprüche, übersteigerter Selbstwert, hohes Geltungsbedürfnis, das Prahlen mit Statussymbolen, Kritikunfähigkeit, Wutausbrüche, Tobsucht, die Unfähigkeit zu lieben… alles Attribute, die mit Narzisstinnen und Narzissten in Verbindung gebracht werden.
Wann haben solche Symptome auch ihre Berechtigung zur Diagnose: Narzisstische Persönlichkeitsstörung? Wie definiert man die narzisstische Persönlichkeitsstörung in ihrem Kern? Wann also hat man es wirklich mit einem narzisstisch gestörten Menschen zu tun?
Prof. Dr. med. Frank Urbaniok im Gespräch über ein in unserer Zeit schwammig gewordenes und inflationär gebrauchtes psychologisches Konzept.
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Ja, es täte gut, einmal ernsthaft zum Hintergrund dieses Begriffes "Narzissmus" den Mythos ernsthaft zu recherchieren, beispielsweise anhand der Darstellung von Friedrich Wieseler ("Narkissos", 1856). Dann würde man Fehler vermeiden wie denjenigen, als Rachegöttin Aphrodite zu benennen. Wenn ausdrücklich von einer Rachegöttin geredet wird - bei Ovid -, dann ist es NEMESIS. Und dass Ovid hier NEMESIS ins Feld führt, dann wird darin seine ironische Absicht deutlich: Nemesis, die am eigenen Leib (und am Beispiel ihrer Tochter Helena) wissen musste, wie belastend es ist, wenn man mit Beziehungswünschenbedrängt wird, diese Nemesis "bestraft" Narziss, weil er sich - völlig zu Recht - der Zudringlichkeit einer geistlosen Nymphe (Echo) und eines liebestollen Verehrers (Ameinias) erwehrt.
Diese Botschaft des Ovid, dass Beziehungen IMMER freiwillig sein müssen, konnte er unter seinem autoritären Kaiser Augustus nicht so laut hinausposaunen, weil es diesem ständig gefiel, sich in das Beziehungsleben von z.B. seiner Tochter (und den Männern, die er ihr zu Ehemännern ausgesucht hatte) einzumischen.
Und dann ebenso FALSCH: Als zweite Version des Mythos wird ausgerechnet eine Fake-Version zitiert, die im Jahr 2005 in der duetschen Wikipedia erfunden wurde. Inzwischen ist sie (seit Ende 2020) dort immerhin gelöscht. (Ein Wikipedianer ist über meinen Beitrag dazu gestolpert und hat den Narziss-Eintrag daraufhin korrigiert - und neue Fehler produziert.)
